Der erste Dezember begann in Bratonien mit dem Geruch von kaltem Holz und einem Hauch PlĂ€tzchen, der eindeutig nicht aus der SchlosskĂŒche kam. Irgendwo im Dorf hatte wieder jemand zu frĂŒh angefangen â wie jedes Jahr.
Im Hof stand Barney mit hochgezogenen Schultern und hielt eine Lichterkette, die aussah, als hĂ€tte sie die Nacht damit verbracht, sich selbststĂ€ndig weiterzuentwickeln. Erna beobachtete ihn vom Fenster aus und nahm einen Schluck Kaffee, als mĂŒsse sie sich mental auf das vorbereiten, was gleich passieren wĂŒrde.
âDas Jahr geht nie leise zu Endeâ, murmelte sie. Barney schaute kurz hoch. âDann fang ich halt laut anâ, sagte er, und in dem Moment wickelte sich ein Teil der Lichterkette um seinen Arm, als wolle sie ihn verhaften.
Drinnen roch die groĂe Halle nach Tannenzweigen, geöltem Holz und einer deutlichen Spur Falbala. Sie hatte am Vorabend den Boden gebohnert, âweil der erste Dezember das verdientâ. Und weil sie heimlich hoffte, dass vielleicht endlich mal jemand darauf ausrutschte und zugab, dass es kein Versehen war.
Auf der Fensterbank lag der alte Adventskalender. Falbala hatte ihn mehrmals repariert, einmal versehentlich falsch herum zusammengeschraubt und einmal mit einem Glöckchen versehen, âdamit er GerĂ€usche macht, wenn er gute Laune hatâ. Heute machte er keine. Erna öffnete TĂŒrchen Nummer eins. âSchloss bei Nachtâ, stellte sie fest. âUnverhofft.â
In der KĂŒche wartete bereits Kaffee â nicht von Falbala. Sie schlief noch, was selten vorkam und meistens bedeutete, dass sie entweder zu spĂ€t ins Bett gegangen war oder einen Traum hatte, der zu gut war, um ihn zu verlassen.
Als sie schlieĂlich erschien, setzte sie sich schwer auf einen Stuhl. âIch hab getrĂ€umt, dass der Ofen mit mir diskutiert hat.â âHat er gewonnen?â, fragte Barney. âEr hat angefangen zu singen. Da bin ich gegangen.â
Hades stimmte im Musikzimmer seine Geige. Wie immer am ersten Dezember â ein Ritual, ĂŒber das niemand mit ihm sprach, weil es ohnehin keine Wirkung gehabt hĂ€tte. Aus dem Gang hörte man Tonfragmente, die sich anhörten, als wĂŒrde die Geige ĂŒber den neuen Monat verhandeln.
Gegen spĂ€ten Vormittag trafen sie sich alle in der Halle. Barney legte seine halbwegs entwirrte Lichterkette auf den Tisch. âIch hab gewonnenâ, sagte er. âSieht nicht so ausâ, antwortete Falbala. âSie hat angefangen, beleidigt zu summen.â âLichterketten summen nicht.â âDiese schon.â
Erna stellte ihren Kaffee ab. âGut, Leute. Erster Dezember. Wir nehmen uns nicht zu viel vor.â âIch nehm mir immer nicht viel vorâ, meinte Hades. âDann bist du heute absolut im Konzept.â
Der Nachmittag verging ruhig. Falbala verteilte Orangen und Zimtstangen im Schloss, âdamit niemand behaupten kann, er rieche den Dezember nichtâ. Barney prĂŒfte die Lichterkette erneut und erklĂ€rte, sie sei âjetzt nur noch geringfĂŒgig unberechenbarâ. Hades sortierte NotenblĂ€tter und spielte gelegentlich etwas, das Falbala als âden verzweifelten Versuch eines Motivsâ bezeichnete. Erna schrieb und verwarf Podcast-Notizen im Wechsel.
Beim Abendessen erzĂ€hlte Falbala, dass der Wasserkocher heute zweimal gepfiffen habe, obwohl niemand ihn benutzt hatte. Barney meinte, KĂŒchengerĂ€te seien im Dezember grundsĂ€tzlich ĂŒbermotiviert. Erna lieĂ die Diskussion ohne Kommentar durchziehen.
SpĂ€ter, als alle schon in Richtung ihrer Zimmer gingen, blieb Erna im Gang stehen. Sie war sich nicht sicher, ob sie es gehört hatte: ein sehr leises Summen irgendwo tief im Schloss, kaum mehr als ein Eindruck. Vielleicht die Heizung. Vielleicht der Wind. Vielleicht Barneys Lichterkette mit kĂŒnstlerischen Ambitionen.
Sie horchte kurz, dann zuckte sie mit den Schultern. Der erste Dezember war kein Tag fĂŒr GerĂ€usche, die keine klaren Absichten hatten.
So endete er â warm, schrĂ€g und vielversprechend. Bratonien eben.
Und wer genau hinsieht, entdeckt: das kleine Daumenkino verÀndert sich.
Mit jedem neuen Tag kommt ein StĂŒck bratonische Weihnacht hinzu â bis am Ende alles zusammenfindet.
Also lohnt es sich, wiederzukommen ⊠jeden Tag.