Der zehnte Dezember begann mit einem schiefen Blick auf die Kaffeemaschine. Erna stand barfuß in der Küche, hielt ihre Tasse unter den Ausguss und starrte auf die blinkende Kontrollleuchte. „Seit drei Jahren steht sie hier, und ausgerechnet heute will sie zicken“, murmelte sie. Als der Kaffee endlich durchlief, schien der Morgen gerettet – für einen Moment.
Falbala kam herein, dick in eine Decke gewickelt. „Ich hab kaum geschlafen“, sagte sie und gähnte. „Es ist so… still im Schloss. Anders. Als ob jemand vergessen hat, den Ton einzuschalten.“ Erna stellte ihr eine Tasse hin. „Oder als ob was fehlt.“ Falbala nickte langsam.
Barney trat ein, mit zerzausten Haaren und einem Klemmbrett unter dem Arm. „Ich hab die ganze Nacht nachgedacht. Vielleicht… vielleicht sind wir zu theoretisch. Wenn die Lösung wirklich ein Kind ist, dann sollten wir dahin gehen, wo Kinder sind.“ „Du willst in die Stadt?“, fragte Erna. „Nur sehen. Hören. Spüren, was dort los ist. Vielleicht findet uns ja die Antwort.“
Hades kam kurz danach, blieb aber in der Tür stehen. „Ich passe. Geht ihr. Ich hab noch das Podcaststudio aufzuräumen.“ Niemand widersprach. Doch als er ging, hörte man ihn noch sagen: „Ein Kind, das Weihnachten im Herzen trägt… als wär das eine Superkraft.“
Am späten Vormittag standen sie auf dem Marktplatz. Die Buden waren geöffnet, erste Besucher schlenderten zwischen Lichterketten und dem Duft von gebrannten Mandeln. Der Schnee, den man in Bratonien jedes Jahr zu dieser Zeit erwartete, war immer noch nicht gefallen. Stattdessen lag feuchte Kälte in der Luft.
Barney sprach Kinder an, stellte Fragen, notierte Antworten. Falbala versuchte es spielerisch – sie verteilte Zuckerstangen, bat um Weihnachtswünsche. Erna beobachtete, verglich Gesichter, Reaktionen, Tonlagen. Aber alles, was sie hörten, klang wie auswendig gelernt: Geschenke. Ferien. Schokolade. Weihnachtsmann. Nichts davon fühlte sich echt an.
Nach einer Weile saßen sie zu dritt an einem Tisch unter einem Heizstrahler. Falbala blies in ihren Becher. „Irgendwas ist falsch. Aber ich weiß nicht, was.“ „Die Kinder sind nicht falsch“, sagte Erna. „Aber vielleicht… nicht offen. Vielleicht ist es ihnen nie gezeigt worden.“ Barney schob sein Klemmbrett zur Seite. „Vielleicht reicht ein einzelnes Kind. Eines, das es wirklich fühlt. Aber wie sollen wir es finden?“
Auf dem Rückweg entdeckte Falbala in einer Seitengasse ein kleines Mädchen, das mit Kreide auf den nassen Asphalt malte. Ein Baum. Ein Haus. Ein Herz. Alles verwaschen und doch mit klarer Hand gezeichnet. Sie blieb stehen, wollte etwas sagen – doch Erna legte ihr eine Hand auf den Arm. „Lass sie. Nicht heute.“
Als sie am Abend das Schloss erreichten, brannte Licht im Studio. Hades saß allein am Mischpult, vor sich nur Stille. „Na, habt ihr’s gefunden?“, fragte er, ohne sich umzudrehen. „Noch nicht“, sagte Barney. „Dann viel Spaß beim Suchen“, kam es zurück. Und dann – leiser: „Ich hoffe, ihr habt mehr Glück als ich.“