Der vierte Dezember begann mit Warten. Barney stand im Kellerflur und zählte zum dritten Mal die Steine in der Mauer vor ihm, als endlich Schritte auf der Treppe zu hören waren.
Hades kam zuerst, die Hände tief in den Manteltaschen, gefolgt von Falbala, die noch nach Kräutern, Äpfeln und Regen roch. Beide waren unterwegs gewesen, aber beide hatten am Vorabend Nachricht von Erna erhalten – kurz, sachlich, ohne Erklärungen: „Kommt morgen runter in den Keller. Da ist was.“
„Ich hoffe, das ist kein Keller voller Spinnen“, sagte Falbala, als sie neben Barney stehen blieb. „Weil wenn das ein Spinnenproblem ist, hättet ihr das ruhig ohne mich lösen dürfen.“ Barney grinste nur. Hades musterte die Wand. „Das ist sie also?“ „Die Mauer. Dahinter: das große Vielleicht.“
Erna trat aus dem Seitengang, einen Rucksack mit Werkzeug geschultert. „Gut, dass ihr da seid. Wir sind zu viert – mehr brauchen wir nicht.“ „Was genau suchen wir nochmal?“, fragte Falbala. „Eine Maschine“, sagte Barney. Hades hob die Augenbraue. „Die berühmte Weihnachtsmaschine aus den Kindermärchen? Ich dachte, wir machen einen Sicherungskasten auf, nicht ein Tor in die Vergangenheit.“ „Dann bleib draußen und pass auf die Spinnen auf“, erwiderte Falbala trocken.
Die Mauer war alt – vermutlich noch aus Zeiten, als das Schloss in den unteren Ebenen umgebaut wurde. Keine Markierung, kein Hinweis. Nur kalter Stein und das leise, pulsierende Brummen irgendwo dahinter.
Barney hob den Vorschlaghammer. „Darf ich?“ „Mach langsam“, sagte Erna. „Mach kaputt“, sagte Falbala. „Ich bin nur zum Kommentieren hier“, ergänzte Hades.
Was als kleine Reparatur begonnen hatte, wurde zu echter Arbeit. Die Mauer war dick, aus groben, unregelmäßigen Bruchsteinen, verbunden mit einem Mörtel, der vermutlich nicht mal mehr im Schlossarchiv gelistet war. Jeder Stein musste einzeln gelockert, gehoben und abgetragen werden.
Stunden vergingen. Der Vorschlaghammer wanderte von Hand zu Hand, Meißel wurden stumpf, Handschuhe schmutzig, und irgendwann roch der Keller nicht mehr nach Staub, sondern nach Schweiß und altem Stein.
Gegen Mittag war das erste Loch groß genug. Falbala beugte sich vor, spähte hinein – und sagte schließlich: „Ich seh... Stufen. Und so ein Licht... kein richtiges. Mehr wie Glühwürmchen. Aber schlecht gelaunt.“ Hades trat neben sie. „Vielleicht reflektiert was?“ „Oder es guckt zurück.“ Niemand lachte. Noch nicht.
„Ich sag’s nur ungern“, murmelte Hades gegen Nachmittag, „aber ich beginne, mich nach dem Lebkuchenkeller zu sehnen, den mir die Bücher versprochen haben.“ „Wenn wir da drin gleich auf ein Uhrwerk stoßen, das nach Marzipan riecht, esse ich den ersten Gang“, gab Barney zurück.
Erst als es draußen längst dunkel war, löste sich der letzte große Stein. Ein kalter Luftzug strich durch den Gang, der Geruch von Metall, Öl und etwas undefinierbar Altem kam ihnen entgegen. Im Inneren lag Dunkelheit – und irgendwo ein Licht, das nicht flackerte, aber auch nicht leuchtete. Etwas war da.
„Jetzt?“, fragte Barney. „Nein“, sagte Falbala sofort. „Wenn das da unten wirklich das Herz von Weihnachten ist, dann geht ihr da nicht so dreckig runter. Ich lasse niemanden mit staubigen Stiefeln auf den Heiligen Boden. Wagt es, und ich ziehe euch an euren Löffeln persönlich wieder nach oben.“
Niemand widersprach. Nicht, weil sie recht hatte – sondern weil plötzlich klar war: Sie würden es morgen brauchen. All ihre Kraft. Ihre Klarheit. Ihre Ruhe.
Der Keller war geöffnet. Aber der Eintritt war noch nicht gestattet.